Pflegekraft am Krankenbett

Licht und Schatten in den vergangenen Wochen: Geht es endlich voran mit den Plänen für mehr Akademisierung bei den Pflege- und Therapieberufen? Neue, starke Argumente sprechen dafür. Einen Schritt zurück geht es leider in der ärztlichen Berufspolitik: Die Zusatzbezeichnung Homöopathie wurde aus der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer gestrichen. Kein gutes Signal – weder für die komplementärmedizinischen Ärzt:innen, noch für die Patient:innen, die zertifiziert ausgebildete homöopathische Ärzt:innen brauchen.

Die Meldungen:

» Wann kommt die Akademisierung der Gesundheitsberufe?
» Lockdown wird bei vielen Kindern lange nachhallen
» Homöopathie aus der ärztlichen Weiterbildungsordnung gestrichen
» Musiktherapie hilfreich bei Autismus

 

Wann kommt die Akademisierung der Gesundheitsberufe?

pexels AkademisierungPflegeBerlin, 4. Juli 2022. Zehn Jahre ist es her, dass der Wissenschaftsrat empfohlen hat, dass sich 10 bis 20 Prozent der Teilnehmer:innen eines Pflege-Ausbildungsjahrgangs akademisch qualifizieren sollen. „Der Ausgangspunkt dieser Empfehlung ist heute so richtig wie 2012: In der alternden Gesellschaft ändern sich die Versorgungsbedarfe qualitativ und quantitativ. Die Versorgung muss zunehmend kooperativ organisiert werden – Interprofessionalität lautet das Stichwort. Daher braucht es in Gesundheitsfachberufen wie etwas Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie neue Qualifikationen und Qualifizierungswege“, kommentierte die Ärzte Zeitung (online 12. Juni 2022) kürzlich.

Minimale Fortschritte in 10 Jahren

Der Wissenschaftsrat hat sich angesichts des zehnjährigen Jubiläums seiner Empfehlung erneut zu Wort gemeldet: Viel zu wenig sei seit 2012 geschehen. Die Akademisierungsquote ist mit einer Ausnahme im einstelligen Prozentbereich steckengeblieben. Es fehlen etablierte klinische Karrierewege für den Nachwuchs, es mangelt am Aufbau organisierter Forschungsaktivitäten. Bundesweit gibt es nur 20 Masterstudiengänge für Pflege- und Therapieberufe. Auch international gesehen droht Deutschland völlig den Anschluss zu verlieren.

Projekt erprobt Qualifikationsmix in der Pflege

Dass mehr Dynamik dringend nötig ist, haben im Juni 2022 auch Wissenschaftler:innen deutlich gemacht, die für die Robert-Bosch-Stiftung und das Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) ein Projekt zur Akademisierung der Pflegeberufe („360° Pflege“) ausgewertet haben. Im Projekt wurde die Umsetzung eines Qualifikationsmixes in der Pflege über teils längere Zeiträume in Einrichtungen der ambulanten, akutstationären und psychiatrischen Pflege, sowie auch in Reha- und Langzeitpflege erprobt. Im Abschlussbericht zum Projekt wurde klar gemacht, dass es für eine höhere Versorgungsqualität in der Pflege mehr Qualifikationsmix brauche, der auch Beschäftigte mit Bachelor- und Master-Abschluss einschließe. Dafür sei es essenziell, dass gute Konzepte zur Integration der Hochschulabsolvent:innen entwickelt werden – ähnlich denen, mit denen im Projekt gearbeitet wurde.

Auch "Arbeit am Menschen" braucht akademische Qualifikation

Gerade an diesen Konzepten mangelt es aber in Deutschland bzw. an der Umsetzung. Der Bürger- und Patientenverband GESUNDHEIT AKTIV kommentiert: „In Deutschland ist lange und erfolgreich verhindert worden, die Pflege wissenschaftlich und damit auch akademisch zu verankern. Vielleicht hat das etwas zu tun mit der hierzulande gängigen Vorstellung, dass versorgende Tätigkeiten zu den ‚niederen‘ und eher dienenden Beschäftigungen zählen. [… ] In Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen verschwinden die akademisch qualifizierten Menschen oft hinter dem Schreibtisch. Das führt dazu, dass sich die qualifizierte Arbeit am Menschen zu wenig weiter entwickeln kann.“

Aktiv werden?

Das „Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen“ hat eine » Petition gestartet, die Sie gerne mitzeichnen können

Quelle:

„Der Mix macht’s – wie die Akademisierung der Pflege gelingen kann“, GESUNDHEIT AKTIV, Juni 2022
„Wissenschaftler wollen mehr Akademiker in der Pflege sehen“, Ärzte Zeitung, 2. Juni 2022

 

Lockdown wird bei vielen Kindern lange nachhallen

pexels UebergewichtBerlin, 4. Juli 2022. Immer deutlicher wird, dass Kinder und Jugendliche unter den Pandemie-Maßnahmen überdurchschnittlich – und vor allem nachhaltig! – gelitten haben. Psychische Störungen nehmen zu, auch die Physis ist betroffen: So sind zum Beispiel zwei Millionen (!) Kinder deutlich dicker geworden. Wenn jetzt die Pläne für den nächsten Herbst gemacht werden, muss klar sein: Schul-, Kita- und Sportverein-Schließungen darf es nicht mehr geben.

Übergewicht im Kindesalter ernst nehmen

Das Thema Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen ist spätestens jetzt nicht mehr trivial: Jedes sechste Kind in Deutschland ist seit Beginn der Corona-Pandemie dicker geworden, fast die Hälfte bewegt sich weniger als zuvor, etwa ein Viertel isst mehr Süßwaren – das zeigte Ende Mai 2022 eine repräsentative Eltern-Umfrage, die die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und das Else Kröner-Fresenius-Zentrum (EKFZ) für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München vorgestellt haben.

Besonders benachteiligte Kinder betroffen

„Eine Gewichtszunahme in dem Ausmaß wie seit Beginn der Pandemie haben wir zuvor noch nie gesehen. Das ist alarmierend, denn Übergewicht kann schon bei Kindern und Jugendlichen zu Bluthochdruck, einer Fettleber oder Diabetes führen“, so eine Sprecherin der DAG.
Besonders bitter ist, dass sich die Schere zwischen privilegierten und benachteiligten Kindern weiter geöffnet hat: Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien sind doppelt so häufig von einer ungesunden Gewichtszunahme betroffen wie Kinder und Jugendliche aus einkommensstarken Familien.

Marshall-Plan für die Kindergesundheit gefordert

Die DAG und das EKFZ für Ernährungsmedizin fordern mit Blick auf die Ergebnisse einen „Marshall-Plan für die Kindergesundheit“, um die Folgen der Pandemie aufzufangen. Als Sofortmaßnahmen empfehlen die Expert:innen eine Besteuerung von Zuckergetränken, Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel und eine Stärkung der Adipositas-Therapie, die in Deutschland chronisch unterfinanziert sei. Ein zweiter Punkt ist sicherlich, Schulen, Kitas und Sportvereine nicht wieder zu schließen.

Quelle:

„Forsa-Umfrage zeigt Folgen der Corona-Krise für Kinder: Gewichtszunahme, weniger Bewegung, mehr Süßwaren – jedes sechste Kind ist dicker geworden“, Pressemitteilung Deutsche Adipositas Gesellschaft, 31. Mai 2022

 

Homöopathie aus der ärztlichen Weiterbildungsordnung gestrichen

globulliBerlin, 4. Juli 2022. Eine schlechte Entscheidung der deutschen Ärzteschaft: In einer Hauruck-Aktion wurde beim Deutschen Ärztetag im Mai 2022 kurzfristig der Antrag gestellt, die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der ärztlichen Musterweiterbildungsordnung zu streichen. Der Antrag wurde nach kurzer Diskussion der ärztlichen Delegierten mit großer Mehrheit angenommen.

Zuvor hatten bereits 13 von 17 Landesärztekammern die homöopathische Weiterbildung gestrichen. Für die Patient:innen ändert sich durch die Entscheidung beim Ärztetag zunächst nichts. Alle Mediziner:innen, die die Weiterbildung absolviert haben, werden diese Bezeichnung behalten und können damit weiter praktizieren. Allerdings wird der ärztlich-homöopathische Nachwuchs in absehbarer Zeit fehlen.

Debatte um die Wissenschaftlichkeit

Erneut wurde die angebliche fehlende Wissenschaftlichkeit der Homöopathie kritisiert. Auf der Website des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) heißt es dazu: „Ganz sicher haben sich diese Kolleginnen im Vorfeld nicht mit dem aktuellen wissenschaftlichen Stand auseinandergesetzt. Sonst hätten sie festgestellt, dass es Daten gibt, die sie mindestens zum Innehalten und Überdenken ihrer Position gebracht hätten.“

Die letztendliche Entscheidung über die Zusatzbezeichnung Homöopathie müssen die Landesärztekammern vor Ort treffen. Mit der Entscheidung der Bundesärztekammer gibt es aber ein deutliches Signal an die Kammern, die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus ihren jeweiligen Weiterbildungsordnungen zu streichen.

Mehr erfahren?

Mehr Infos zur ärztlichen Weiterbildung in Homöopathie gibt es online beim » DZVhÄ

 

Musiktherapie hilfreich bei Autismus

Filderklinik MusiktherapieBerlin, 4. Juli 2022. Gute Nachrichten aus der Autismus-Forschung: Ein neuer Cochrane-Report findet Hinweise auf eine Reihe günstiger Effekte von Musiktherapie bei autistischen Menschen.

Für den kürzlich aktualisierten Cochrane Review „Musiktherapie für autistische Menschen“ haben die Forscher:innen nach Studien gesucht, die die Wirkung von Musiktherapie mit einer ähnlichen Therapie ohne Musik (Placebo-Therapie), der Standardbehandlung oder gar keiner Therapie verglichen.

Gegenüber der letzten, 2014 veröffentlichten Version konnten 16 neue Studien in den Review aufgenommen werden, so dass die Evidenz in dieser Übersichtsarbeit nun auf 26 Studien mit einer Gesamtzahl von 1165 Teilnehmern beruht. Die Studien untersuchten die kurz- und mittelfristige (drei Tage bis acht Monate) Wirkung von musiktherapeutischen Interventionen für autistische Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Einzel- oder Gruppensettings.

Ergebnisse, die Mut machen

Im Ergebnis führt eine Musiktherapie im Vergleich zur Placebo-Therapie oder Standardbehandlung wahrscheinlich zu einer Verbesserung der Gesamtsymptomatik bis zum Ende der Therapie. Sie trägt wahrscheinlich auch dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern und einzelne Symptome zu lindern. Musiktherapie führt dabei wahrscheinlich nicht zu unerwünschten Ereignissen.

Aus der Evidenz lässt sich jedoch nicht ablesen, ob Musiktherapie die soziale Interaktion sowie die verbale und nonverbale Kommunikation bis zum Ende der Therapie verbessert. Es bleiben etliche offene Forschungsfragen, insbesondere zur längerfristigen Wirkung von Musiktherapie.

Quelle (Originalpublikation):

Geretsegger M, Fusar-Poli L, Elefant C, Mössler KA, Vitale G, Gold C. Music therapy for autistic people. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022, Issue 5. Art. No.: CD004381