Plenum Deutscher Bundestag

Nach wie vor wird über das Thema Suizidbeihilfe engagiert diskutiert: Die Bundesärztekammer hat beim 124. Ärztetag den Beschluss gefasst, das generelle Verbot der ärztlichen Sterbehilfe aus der Muster-Berufsordnung zu streichen. Die Debatte um eine neue gesetzliche Regelung geht derweil weiter. Ein zentraler Punkt wird sicherlich die Weiterentwicklung der Angebote aus Palliativmedizin und Hospizarbeit sein. Gut zu diesem Thema passt eine neue Initiative aus der Politik, das Thema Einsamkeit aus der Tabuzone zu holen. Nicht zuletzt haben einsame Menschen neben dem seelischen Leidensdruck erhöhte gesundheitliche Risiken. Neuigkeiten gibt es auch aus der Pflege: Statt der großen Pflegereform soll es nun erstmal eine abgespeckte Version richten – unter anderem mit Regeln zur Bezahlung nach Tarif in der Altenpflege. Und noch gute Nachrichten zum Schluss: England macht vor, wie wirksam eine Zuckersteuer sein kann, obwohl es auch im Königreich kräftigen Widerstand gab. Daran darf sich die EU ruhig ein Beispiel nehmen, oder?

Die Meldungen:

» Sterbehilfe: Ärztetag kippt Verbot der Suizidbeihilfe
» Pflege: Eine echte Reform? Oder doch eher ein Reförmchen?
» Einsamkeit macht krank
» Zuckersteuer überzeugt in England

 

Sterbehilfe: Ärztetag kippt Verbot der Suizidbeihilfe

Sterbehilfe Pexels WebBerlin, 3. Juni 2021. Das Verbot der ärztlichen Sterbehilfe ist gekippt. Beim 124. Ärztetag haben die Delegierten mit großer Mehrheit zugestimmt, eine entsprechende Passage aus der Muster-Berufsordnung für ÄrztInnen zu streichen. Einige der Landesärztekammern hatten den Satz bereits vorher aus ihren Berufsordnungen gestrichen, so dass es bisher bundesweit keine einheitliche Regelung gab.

ÄrztInnen müssen ihre Rolle finden

Mit der Streichung des Verbots folgten die ÄrztInnen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2020, in dem das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz für verfassungswidrig erklärt wurde. Klar wurde in der Debatte zur Abstimmung beim Ärztetag aber auch, dass die moralisch-ethische Rolle der ÄrztInnen in der Frage der Suizidbeihilfe (noch) nicht abschließend geklärt ist. Deshalb sprachen sich die Delegierten dafür aus, dass auch die Gesellschaft eine breite Diskussion über die Rolle der Ärztinnen und Ärzte in dieser hoch sensiblen Frage führen solle. Der Ärztetag hat sich darüber hinaus für mehr Suizidprävention und leichtere Zugänge zur Palliativversorgung stark gemacht.

Suizidprävention statt Suizidassistenz

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) begrüßten es, dass die Bundesärztekammer das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe zwar gestrichen, aber gleichzeitig festgehalten hatte, dass die Suizidassistenz keine regelhafte ärztliche Aufgabe sei.

Die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) fordert anlässlich des Beschlusses des Ärztetages bessere Schutzkonzepte zur Suizidprävention: „Anlässlich der Streichung des Verbotes der Suizidbeihilfe fordert auch die GAÄD nachdrücklich eine bessere Suizidprävention durch psychosoziale Begleitung und frühe umfassende Begleitung zur Vermeidung des Wunsches nach assistierter Selbsttötung. Die GAÄD verweist dabei auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, seiner aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes folgenden Verpflichtung zum Schutz des Lebens nachzukommen.“

Quellen:

„Stellungnahme der GAÄD zur Streichung des Verbotes zur Hilfe zur Selbsttötung durch den 124. Deutschen Ärztetag“, Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland, 18. Mai 2021
„Suizid und aktive Sterbehilfe“, Arbeitsgemeinschaft Palliativmedizin, Medizinische Sektion, 10. April 2021
„Begleitung des sterbenden Patienten“, Matthias Girke & Rolf Heine, 15. Mai 2021
„Ärzteverbände begrüßen Ärztetagsbeschluss zum assistierten Suizid“, Deutsches Ärzteblatt, 6. Mai 2021

 

Pflege: Eine echte Pflegereform? Oder eher ein Reförmchen?

Pflege Bildmaterial DAMiDBerlin, 3. Juni 2021. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Eckpunkte für die dringend nötige Pflegereform vorgestellt – darin ging es vor allem um eine Deckelung der Eigenbeteiligung von Pflegebedürftigen; eine Bezahlung nach Tarif für Pflegedienste und Pflegeheime in der Altenpflege sowie um einen Bundeszuschuss aus Steuergeldern für die Pflegeversicherung. Der damit verbundenen Einsicht „Bessere Pflege kostet mehr“ folgte bislang allerdings noch kein klares Finanzierungsmodell.

Kontroverse um den Arbeitsentwurf

Im März 2021 wurde dann ein Arbeitsentwurf aus dem Gesundheitsministerium vorgelegt. Seitdem wurde und wird debattiert. Gleichzeitig wächst der Frust auch in der Politik darüber, dass es mit der Pflegereform noch nicht weitergeht – mit einer breit angelegten Reform noch in dieser Legislatur ist inzwischen nicht mehr zu rechnen. Und zwar nicht nur aus Zeitgründen, sondern auch, da man sich insbesondere in der Finanzierung immer noch uneinig ist.

Pflegereform im Huckepack-Verfahren

Schließlich griff Jens Spahn auf ein bekanntes Manöver zurück: Er hängte Teile der Reform kurzerhand an das geplante Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) an, das sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindet.

Aufgegriffen wird damit die Vorgabe, dass die Pflegedienste und Pflegeheime in der Altenpflege nur dann mit den Pflegekassen Verträge abschließen können, wenn sie ihre Beschäftigten nach einem anerkannten Tarifvertrag bezahlen – gegen diese Regelung stemmen sich die Arbeitgeber nach Kräften.

Außerdem will Spahn die steigenden Eigenanteile von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen an den Heimkosten bremsen – über einen Leistungszuschlag aus der Pflegekasse. Ab 2022 soll es einen Bundeszuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro jährlich an den Pflegeausgleichsfonds geben (allerdings gehen die Krankenkassen von mindestens 4,5 Milliarden Euro im nächsten und weit über 5 Milliarden im Folgejahr 2023 aus). Kinderlose sollen höhere Beiträge zur Pflegeversicherung zahlen.

Die parlamentarischen Beratungen zu diesem „Omnibus-Gesetz“ dauerten zum Redaktionsschluss (3. Juni 2021) noch an. Eine weitere Anhörung zu den pflegebezogenen Gesetzesänderungen im Zuge des GVWG ist für den 7. Juni 2021 geplant. Wir berichten weiter.

Quelle:
„‘Pflegereförmchen‘ gerät unter Beschuss von allen Seiten“, Ärzte Zeitung, 31. Mai 2021

 

Einsamkeit macht krank

pexels keenan EinsamkeitBerlin, 3. Juni 2021. Einsamkeit – in unserer Gesellschaft weit verbreitet und doch noch immer ein Tabu. Inzwischen wächst immerhin die Sensibilität für das Thema. Verschiedene Initiativen bemühen sich, dem bisherigen Stigma etwas entgegenzusetzen und das Thema in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.

Millionen sind betroffen

Das Thema hat eine hohe gesellschaftliche Relevanz: In Deutschland leiden Millionen Menschen an Einsamkeit, wobei vor allem junge Erwachsene und Hochbetagte betroffen sind. Bei Jugendlichen hat sich das Problem der Einsamkeit in der Corona-Pandemie noch verstärkt. Auch Armut ist ein großes Risiko, einsam zu werden (oder zu sein). Ein spezifischer Stadt-Land-Unterschied lässt sich nicht feststellen. Belastbare Daten und Grundlagenforschung fehlen allerdings.

Einsame Menschen mit hohen gesundheitlichen Risiken

Klar ist allerdings: Einsamkeit birgt hohe gesundheitliche Risiken – nicht zuletzt deswegen kommt das Thema in der Gesundheitspolitik langsam auch an. Ende April 2021 gab es eine öffentliche Anhörung, die auf einen Antrag der FDP zurückging. In dem Antrag hatte die FDP-Fraktion Studienmaterial zusammengetragen, das zeigt, dass Einsamkeit das Risiko für chronischen Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Demenz, frühen Tod und Suizid erhöht. Auch Pflegebedürftigkeit tritt bei einsamen Menschen früher und häufiger auf. Im Februar 2021 hatte auch die CDU/CSU-Fraktion in einem Positionspapier eine „nationale Strategie“ gefordert.

In der Anhörung forderten die Sachverständigen, dass sich die Politik des Themas verstärkt annehme. Sie forderten vor allem, Einsamkeit stärker zu erforschen, eine interdisziplinäre Fachkommission zu etablieren und mit nationalen Kampagnen der Stigmatisierung entgegenzuwirken sowie die Vernetzung der bisherigen (meist ehrenamtlichen) Projekte weiterzuentwickeln.

Quelle:

„Politik muss Einsamkeit stärker in den Fokus nehmen“, Deutsches Ärzteblatt, 20. April 2021

Zuckersteuer überzeugt in England

Zuckersteuer pexels mccutcheon WebBerlin, 3. Juni 2021. Seit Jahren wird gestritten, ob zusätzliche Steuern in der Ernährungspolitik umgesetzt werden sollten. Nun zeigt eine Studie der Universität Cambridge, dass die Steuer auf zuckerhaltige Getränke in England der öffentlichen Gesundheit nutzt, ohne der Industrie zu schaden.

Zucker in Getränken reduzieren

In England wird seit April 2018 eine Steuer von Herstellern von Softdrinks erhoben. Die WissenschaftlerInnen haben für die Studie die Veränderungen der Haushaltskäufe von Getränken und Süßwaren vor und nach der Einführung der Steuer untersucht. Berücksichtigt wurden rund 31 Millionen Einkäufe von durchschnittlich 22.183 Haushalten, die zwischen 2014 und 2019 ihre Lebensmittel und Getränke online bestellt hatten.

10 Prozent weniger Zucker

Das Deutsche Ärzteblatt berichtet: „Wenn alle besteuerten und nicht besteuerten Erfrischungsgetränke zusammengenommen wurden, änderte sich das Volumen der gekauften Getränke nicht, aber der gekaufte Zucker in diesen Getränken sank um etwa 30 Gramm pro Haushalt und Woche oder fast 10 Prozent – das entspricht laut den Forschern rund 3 Teelöffeln weniger.“

Von dem Effekt dieser Regelungen können nun auch andere Länder lernen, empfahl das George Institute for Global Health in einem Editorial zur Studie.

Quelle:

„Die britische Zuckersteuer auf Softdrinks funktioniert“, Deutsches Ärzteblatt, 25. März 2021 (nur für eingeloggte NutzerInnen)