Deutscher Bundestag

Die Akutphase der Pandemie ist vorbei. Trotzdem scheint es in Deutschland schwer zu sein, aus der Angst- und Erregungsspirale herauszufinden, siehe Debatte um die Impfpflicht. Dabei wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, den Umgang mit der Pandemie sorgfältig (und gestützt durch valide Daten) aufzuarbeiten, wie zum Beispiel der Ethikrat fordert. Denn Angst und Stress machen auch jenseits von Viren krank, wie zum Beispiel eine neue Studie zeigt: die psychische Gesundheit hat große Auswirkungen auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Meldungen:

» Kippt die einrichtungsbezogene Impfpflicht?
» Pandemie - Lessons learned?
» WHO stärkt Erforschung von CAM in Indien
» Millionen betroffen: Herz-Risiko Psyche


Kippt die einrichtungsbezogene Impfpflicht?

Impflicht pexels karolina grabowska Web 1Berlin, 5. Mai 2022. Nach dem Scheitern der allgemeinen Impfpflicht im Bundestag werden die Stimmen lauter, die sich für eine Abschaffung der umstrittenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht einsetzen, die in Deutschland seit Mitte März 2022 gilt.

Kritik aus verschiedenen Richtungen

Diese sehr kurzfristig beschlossene Regelung war von Anfang an umstritten. Viele Anbieter hatten schon im Vorfeld angekündigt, dass die medizinisch-pflegerische Versorgung in Zeiten eines sowieso existierenden Pflegenotstandes nicht mehr wie gewohnt erbracht werden könne, wenn es durch die Impfpflicht Tätigkeitsverbote geben werde.

Auch Pflege-Verbände wiesen darauf hin, dass es den Beschäftigen nicht vermittelbar sei, dass sie sich selbst impfen lassen müssen, Patient:innen und Besucher:innen jedoch nicht. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kommentierte: „Wir haben immer für die einrichtungsbezogene Impfpflicht gekämpft und diese befürwortet, aber unter der Voraussetzung, dass sie nur ein erster Schritt sein kann und dann mit einer allgemeinen Impfpflicht ergänzt wird. Wenn die Politik dafür keine Kraft hat, kann dies nicht auf Kliniken und andere Einrichtungen im Gesundheitswesen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgewälzt werden.“ Die DKG forderte eine sofortige Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.

Für eine ersatzlose Streichung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht machen sich auch die » Ärztinnen und Ärzte für Individuelle Impfentscheidung stark – wenn auch aus anderen Gründen, da der Verein grundsätzlich jede Art der verpflichtenden Impfung ablehnt.

Quelle:

„Forderungen nach Aus der Impfpflicht für Klinikpersonal“, Deutsches Ärzteblatt, 26. April 2022
„Scheitern mit Ansage – Impfpflicht-Debakel ist eine bittere Botschaft an die Krankenhäuser“, Deutsche Krankenhaus Gesellschaft, 8. April 2022

 

Pandemie – Lessons learned?

Lehren Pandemie pexels anna shvetsBerlin, 5. Mai 2022. Die vergangenen zwei Jahre haben unserem Gesundheitswesen, aber auch unserer Gesellschaft viel abverlangt. Welche Lehren lassen sich aus der Pandemie für die Zukunft ziehen? Was muss aufgearbeitet werden? Was dringend verbessert werden?

Ethikrat nimmt Stellung

Dass es sich lohnt, über die Fragen nachzudenken, zeigen zwei neue Statements bzw. Wortmeldungen des Deutschen Ethikrates und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM). In seiner Stellungnahme setzt sich der Ethikrat vor allem mit ethischen Kriterien für komplexe Entscheidungen auseinander und legt Empfehlungen vor, um besser auf besondere Vulnerabilitäten von Individuen und Institutionen einzugehen und deren Resilienz zu stärken: „Maßnahmen gegen eine Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein“, so die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx. Das Begriffspaar Vulnerabilität und Resilienz habe dabei besondere Bedeutung. „Die Folgen der Pandemie und ihrer Bewältigung betreffen zwar alle, aber eben nicht alle in gleicher Weise“, betont Buyx.

Aus seinen Überlegungen leitet der Deutsche Ethikrat eine Reihe konkreter Empfehlungen für Güterabwägungen im Kontext von Pandemien ab. Sie betreffen beispielsweise den Umgang mit Unwissen und Ungewissheit, die insbesondere zu Beginn der Pandemie politische Entscheidungen erschwert haben. Gefordert werden weiterhin verbesserte Kommunikations- und Informationsstrategien sowie die Einbeziehung von Menschen mit eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten in die sie betreffenden Entscheidungen. Das Potenzial von Maßnahmen, gesellschaftliche Spaltungen zu befördern, sollte zukünftig systematisch in Entscheidungen berücksichtigt werden.

DEGAM fordert sorgfältige Auswertung

Mehr Reflexionsfähigkeit fordert auch DEGAM-Präsident Prof. Martin Scherer im Interview mit der Ärzte Zeitung (6. April 2022): „Wir haben zwei Jahre Dauerbeschallung zu diesem Thema hinter uns, es hat die gesamte Gesellschaft in Atem gehalten. Rund um das Thema Corona wurde praktisch alles zur Schlagzeile und es herrschte dauerhafte Aufregung. Das war nicht hilfreich.“ Scherer setzt sich für eine echte Aufarbeitung des Umgangs mit der Pandemie ein und spricht sich für mehr Evidenzbasierung aus: „Wir sollten nicht zulassen, dass weiterhin auf Basis nicht belastbarer Daten Vorhersagen getroffen werden, die die Menschen verunsichern. Genau das haben wir erlebt und als Folge Entkoppelungsphänomene. Es bildeten sich unterschiedliche Blasen, die nicht mehr zueinander fanden.“

Quelle:

„Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“, Deutscher Ethikrat, 4. April 2022
„DEGAM-Präsident Scherer: „So kann es nicht noch einmal laufen“, Ärzte Zeitung, 6. April 2022

 

WHO stärkt Erforschung von CAM in Indien

WHO pexels pixabay 163186Berlin, 5. Mai 2022. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will mit einem neuen Zentrum in Indien Komplementäre und Alternative Medien (CAM) erforschen. In Indien spielt CAM traditionell eine sehr große Rolle, sogar ein eigenes Ministerium gibt es dafür. Laut Deutschem Ärzteblatt (online am 25. April 2022) sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus anlässlich der Eröffnung des Zentrums in Indien Mitte April: „Das Zentrum soll ein Motor der Innovation sein, um eine Agenda für Belege, Daten und Nachhaltigkeit in der traditionellen Medizin voranzubringen.“

Es solle Praktiker:innen traditioneller Medizin weltweit verbinden und helfen, Standards für die Forschung zu setzen. Im Zentrum werden laut WHO auch moderne Technologien genutzt, um traditionelle Medizin zu erforschen – künstliche Intelligenz und Big Data etwa.

Laut WHO nutzen 80 Prozent der Weltbevölkerung traditionelle Medizin wie beispielsweise Akupunktur, Ayurveda und Pflanzenheilkunde. 170 von 194 Mitgliedsstaaten hätten die Organisation um Hilfe beim Aufbau eines Instituts für traditionelle Medizin inklusive Daten zur Evidenz einzelner Methoden gebeten, so die WHO.

Quelle:

„WHO hat neues Zentrum für Alternativmedizin“, Deutsches Ärzteblatt, 25. April 2022

 

Millionen betroffen: Herz-Risiko Psyche

Depression Aengste PexelsBerlin, 5. Mai 2022. Fast ein Fünftel der Erwerbstätigen in Deutschland ist von einem psychischen Risikofaktor für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung betroffen. Das zeigt der aktuelle DAK-Gesundheitsreport „Risiko Psyche: Wie Depressionen, Ängste und Stress das Herz belasten“, der kürzlich veröffentlicht wurde. Hochgerechnet auf die Erwerbsbevölkerung haben 8,6 Millionen Menschen ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko durch eine psychische Erkrankung oder arbeitsbedingten Stress. „Depressionen, Ängste und negativer Stress sind bereits für sich genommen eine große Belastung. Sie gehen aber auch buchstäblich ans Herz!“, kommentierte Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit.

Psychische und klassische Risikofaktoren kommen oft zusammen

Für den aktuellen Gesundheitsreport wurden rund 7.100 erwerbstätige Frauen und Männer repräsentativ befragt. Fast ein Fünftel lebt demnach mit einem psychischen Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. „Bei Menschen, die an einer Depression leiden, finden sich auch verstärkt klassische Herz-Kreislauf-Risiken. Das Herzrisiko Psyche ist eine unterschätzte und oft unbekannte Gefahr“, so Storm. In der Befragung gab fast ein Drittel der Beschäftigten mit psychischem Risiko an, auch Übergewicht zu haben (32,6 Prozent), und deutlich mehr als ein Viertel (30,5 Prozent) zählte sich zu den Raucherinnen und Rauchern.

Arbeitsstress mit Uniabschluss seltener

Auch Frauen und Männer mit Arbeitsstress sind betroffen – wenn sie also viel Leistung bringen und gleichzeitig wenig Wertschätzung erfahren. Er ist vor allem unter Erwerbstätigen mit einem mittleren Berufsabschluss (10,5 Prozent) verbreitet, diejenigen mit einem Uniabschluss sind nur halb so oft betroffen (5,1 Prozent).

Immerhin werden laut Studie knapp der Hälfte (48 Prozent) der Erwerbstätigen von ihrer Firma Angebote aus dem Bereich der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemacht. Bei den Erwerbstätigen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind es nur 41 Prozent. „Gerade bei denjenigen, die es besonders benötigen, ist das Angebot bisher eher überschaubar“, so Storm. „Arbeitgeber müssen Stress und mögliche Belastungen mehr in den Fokus rücken und innerbetriebliche Abläufe schaffen, die die Gesundheit – vor allem auch die psychische – schützen.“

Quelle:

„8,6 Millionen Erwerbstätige haben ein psychisches Risiko für einen Herzinfarkt“, DAK, 26. April 2022