BSG-Urteil: Aus für die (adjuvante) Misteltherapie auf Kassenrezept

Der Streit um die Frage, ob die anthroposophische Misteltherapie auch dann auf Kassenrezept verordnet werden kann, wenn die Krebserkrankung (noch) nicht unheilbar ist, zog sich über Jahre hin. Zu Lasten der Betroffenen, die ihr Recht auf Erstattung durch ihre Krankenversicherung immer wieder vor Gericht einklagen mussten. Allerdings gaben die Gerichte immer wieder den Patientinnen und Patienten Recht, so dass die Kosten für die adjuvante und die palliative Misteltherapie in den vergangenen Jahren übernommen wurden. Damit ist nun Schluss. Denn die obersten Sozialrichter am Bundessozialgericht (BSG) haben entschieden: Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ist berechtigt, die Erstattungsfähigkeit der anthroposophischen Mistelpräparate auf die palliative Behandlung zu beschränken. Auch wenn das Urteil zu einer alten Fassung der Arzneimittel-Richtlinie ergangen ist, hat das BSG doch deutlich zu erkennen gegeben, dass es diese Auffassung auch für die aktuelle Fassung der Arzneimittel-Richtlinie vertritt. Ärzte werden deshalb Mistelpräparate als Ergänzung zur vorbeugenden Standardtherapie (Adjuvanz) nicht mehr auf Kassenrezept verordnen, da sie anderenfalls mit Regressen rechnen müssen, die sie selbst zu tragen haben.

Worum geht es genau?

Zum Hintergrund: In Deutschland legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der sog. Arzneimittel-Richtlinie (AMR) fest, welche medizinischen Leistungen von den Kassen bezahlt werden müssen. Dieses Gremium hatte schon vor Jahren entschieden, die Erstattung der Misteltherapie nur noch für die palliative Behandlung zu erlauben - also bei einer nicht heilbaren und in der Regel metastasierten und nicht operablen Krebserkrankung. Gegen diese Einschränkung hatte jedoch das Gesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde Einspruch erhoben. Nun ist klar: Dieser Einspruch war nicht rechtens, der G-BA darf die Erstattung einschränken. Und schlimmer noch: Das BSG verdeutlichte in seiner jetzt vorliegenden Urteilsbegründung, dass diese Einschränkung auch für die heute gültige Fassung der Arzneimittel-Richtlinie gelte und es keine Übergangsfristen gebe.

Was passiert jetzt?

Nun heißt es also ab sofort: Die Behandlung mit Mistelpräparaten in der adjuvanten Situation muss von den Patienten privat bezahlt werden. Zwar betrifft diese Einschränkung der Erstattung "nur" die adjuvante Behandlung, denn bei einer palliativen Therapie wird die Mistel weiterhin von den Krankenkassen übernommen. Das ist allerdings für die Patienten kein Trost: Wird die Mistel doch von vielen gerade eingesetzt, um einem Rückfall (Rezidiv) oder der Ausbreitung des Tumors zu verhindern, damit es eben nicht zur palliativen Situation kommt. Aber diese guten Gründe blieben ungehört. Ungehört blieben auch die heute vorliegenden guten Studienergebnisse für die Misteltherapie, die sich mit den guten Erfahrungen, die Millionen von Patienten mit der Mistel gemacht haben, decken. Das BSG hat sich jedoch gar nicht inhaltlich mit der Misteltherapie befasst. In dem Verfahren ging es nur um die Rechtsfrage der Reichweite der Rechtsaufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss.

Wer hört die Patienten?

Die konkreten Bedürfnisse von Krebspatientinnen und -patienten spielen bei dieser juristischen und gesundheitspolitischen Auseinandersetzung leider überhaupt keine Rolle. Denn heute wollen die meisten Menschen, dass sie im Falle einer Krebserkrankung eine moderne schulmedizinische Behandlung bekommen - und gleichzeitig auch andere unterstützende Verfahren wie die Misteltherapie nutzen können, um zum Beispiel die Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapie zu verringern und die Lebensqualität zu erhöhen. Während die Misteltherapie also längst bei den Betroffenen angekommen ist, scheint es in den entscheidenden Gremien immer noch schwere Bedenken gegen andere als rein naturwissenschaftlich begründete Verfahren zu geben - auch wenn diese seit Jahren erfolgreich und millionenfach eingesetzt werden.

Was können Patienten jetzt tun?

Es ist den Patientinnen und Patienten nur zu raten, sich diese selbstbestimmte Wahl "ihrer" Therapie nicht wegnehmen zu lassen. Auch wenn es durch das Urteil natürlich schwieriger (und leider teurer) wird. Der Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD) rät den Betroffenen deshalb, das Gespräch mit der entsprechenden Krankenkasse zu suchen und im Einzelfall eine Kostenübernahme für die adjuvante Misteltherapie zu vereinbaren. Denn die anthroposophischen Mistelpräparate (abnobaViscum, Helixor, Iscador, Iscucin) sind arzneimittelrechtlich ja weiterhin sowohl adjuvant als auch palliativ zugelassen und die Krankenkassen dürfen sie erstatten (müssen es aber eben nicht mehr). Die Versicherten können ihrer Krankenkassen gegenüber folgendermaßen argumentieren: Die am Rande geäußerte Rechtsauffassung des Bundessozialgerichtes zur heute gültigen Arzneimittel-Richtlinie ist von der Rechtskraft des Urteils nicht erfasst und bindet die Krankenkassen deshalb nicht. Gebunden wären die Krankenkassen erst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auch die heute gültige Arzneimittel-Richtlinie entsprechend ändert.

Worauf man achten sollte

Wenn Patientinnen und Patienten einen Antrag auf Kostenübernahme bei ihrer Krankenkasse stellen, sollten sie zusammen mit dem Privatrezept auch eine schriftliche Begründung des Arztes zur Verordnung der Misteltherapie einreichen. Außerdem hat der DAMiD eine» juristische Stellungnahme zur Erstattungsfähigkeit erstellen lassen, die ebenfalls eingereicht werden sollte, um die Argumentation der Versicherten zu stützen.

Zusätzlich können die Versicherten in ihrer Argumentation auf das so genannte Systemversagen hinweisen, das vorliegt, wenn die Krankenkasse dem Versicherten eine Leistung wegen eines Mangels im Versorgungssystem der GKV nicht zur Verfügung stellen kann. Das klingt in einem medizinisch gut versorgten Land wie Deutschland zwar etwas ungewöhnlich, wird jedoch auch jetzt schon bei anderen anthroposophischen Therapieverfahren umgesetzt, die dann im Einzelfall von den Kassen erstattet werden.

Es bleibt also zu hoffen, dass die Krankenkassen den ihnen zustehenden Entscheidungsspielraum nutzen. Dabei können sich die Krankenkassen auch weiterhin auf die zahlreichen rechtskräftigen (allerdings nur erstinstanzlichen) Sozialgerichtsurteile stützen, die einen Leistungsanspruch der Versicherten auch zur adjuvanten Therapie anerkannt haben.

Patienten sollten sich immer wieder bewusst machen: Heute stehen die Krankenkassen im immer härter werdenden Wettbewerb um Versicherte. Das sollte den Versuch wert sein, die Misteltherapie bei der eigenen Kasse einzufordern. Zeigt sich die Kasse stur, gibt es in Deutschland ja glücklicherweise das Recht, die Kasse zu wechseln. Je mehr Patientinnen und Patienten dieses Druckmittel nutzen, desto deutlicher wird: Eine Entscheidung dieser Tragweite ist heute nicht mehr so leicht gegen die Interessen der Betroffenen durchzusetzen.

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Der DAMiD repräsentiert die Anthroposophische Medizin in allen gesellschaftlichen Bereichen des deutschen Gesundheitswesens. Als Dachorganisation vertritt der Verband die übergeordneten Belange und Interessen seiner 17 Mitglieder. Mitgliedsorganisationen sind Berufs- und Patientenverbände, Klinikverband, gemeinnützige Altenhilfe, Behindertenhilfe sowie Hersteller Anthroposophischer Arzneimittel.