- wie Teilhabe und Inklusion im Berliner Grunewald gelebt werden

Wie funktionieren Teilhabe und Inklusion im Berliner Grunewald? Diese Frage stand bei einem Besuch der Forstgruppe der LebensWerkgemeinschaft im Vordergrund. Wir haben viele sehr nette Menschen getroffen und konnten erleben, warum dieser Ort mehr als nur ein Arbeitsort ist.

 

Wir hören das Kreischen der Säge und das Schlagen der Axt schon von Weitem. Es ist ein eiskalter Wintertag im Februar und wir sind unterwegs zur Forstgruppe der LebensWerkgemeinschaft gGmbH am Rande des Berliner Grunewalds.
Hier sind wir mit Christoph Schröter verabredet. Er leitet die Forstgruppe. Was das bedeutet, werden wir noch erfahren.

Wir sind noch gar nicht richtig angekommen, da werden wir schon neugierig beäugt und sehr freundlich begrüßt. Die Mitarbeiter wissen, dass wir kommen und uns bei ihnen umsehen und mit ihnen sprechen möchten. Es sind rund 30 Menschen mit Assistenzbedarf, die hierher zur Arbeit kommen.
Auch Christoph ist schon da. Er und Peter Rindt, Leiter der Fahrradwerkstatt vor Ort, erzählen uns von ihrer Arbeit. Christoph ist studierter Förster, Peter ausgebildeter und erfahrener Handwerker. Sie sind zwei der fünf fest angestellten Beschäftigten.
Damit sie hier Menschen mit Assistenzbedarf betreuen, anleiten und ausbilden dürfen, haben sie eine sonderpädagogische Ausbildung abgeschlossen. Für die Mitarbeiter, der korrekten Bezeichnung der Menschen mit Assistenzbedarf, die hier arbeiten, gibt es ebenfalls klare Regelungen zur Arbeit. „Wer einen Schulabschluss gemacht hat, hat die Möglichkeit, sich hier drei Monate lang umzuschauen und uns und die Arbeit kennenzulernen. Danach beginnt dann die Berufsausbildung - je nach Eignung und Neigung”, erklärt Christoph. Diese Ausbildung ist betriebsintern und findet im sogenannten „Berufsbildungsbereich“ statt. Zwei Jahre lang wird in den Bereichen Forst, Garten und Fahrrad ausgebildet. Dann sollten die Mitarbeitenden für den sogenannten “ersten” Arbeitsmarkt qualifiziert sein. Das hat in Christophs 15 Jahren in der Forstgruppe aber leider noch niemand geschafft, denn die Hürden sind sehr hoch, oft unüberwindlich. Viele bleiben also nach ihrer Ausbildung in dieser LebensWerkgemeinschaft und sind anschließend über die Bundesagentur für Arbeit hier angestellt.

Forstwirtschaft, Gartenbau und Fahrradwerkstatt

Die Aufgaben sind dann sehr vielfältig. „Wir decken mit unserer Arbeit den gesamten Bereich der Forstwirtschaft ab”, erklärt Christoph. „Zum Beispiel wird Holz zu Brennholz verarbeitet, wir bauen Geländer und Wegbegrenzungen aus Rundholz oder liefern und verkaufen Weihnachtsbäume. Die Gruppe Garten und Landschaft betreut über das ganze Jahr Gärten und Grünflächen, pflegt diese oder legt sie neu an”, ergänzt er.
“Wir in der Fahrradwerkstatt sind für Fahrradwartung und -reparatur zuständig. Wir haben viele Stammkunden, aber es finden auch immer wieder neue Menschen ihren Weg zu uns. Entweder über Empfehlungen oder aber auch über eine einfache Internetsuche. Richtig bewerben mussten wir unser Angebot noch nie”, sagt Peter stolz.

Während unseres Gesprächs geht häufig die Tür auf. Johannes kommt und nimmt sich einen Keks, Alex fragt, ob Christoph mal mit nach draußen kommen kann. „Es gibt Tage, da ist es hier wuselig, wie in einem Ameisenhaufen. Es ist nicht immer leicht, so viele unterschiedliche Charaktere und Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen”, sagt Christoph und steht auf. Er wird gebraucht – wir gehen mit und folgen dem Geräusch der Säge.

Individuelle Fähigkeiten und therapeutische Angebote

Im großen Schuppen wird heute Brennholz mit der Kreissäge auf ein bestimmtes Maß geschnitten. Die Scheite werden zunächst auf einen großen Haufen geworfen und im Anschluss händisch zum Trocknen aufgestapelt. „Das ist gerade unsere Hauptarbeit”, erklärt Alex. „Alles wird zu Brennholz verarbeitet und dann verkauft.” Es gibt auch einen überdachten Platz, an dem die Scheite mit einer Handsäge zugeschnitten werden.

Nicht jeder darf hier frei alle Geräte und Maschinen bedienen. Je nach Interesse und Eignung können die Mitarbeiter Geräteführerscheine machen, die sie befähigen und berechtigen, mit Holzspaltmaschine, Motorsäge, Heckenscheren oder Kreissägen zu arbeiten. „Das obliegt unserer Einschätzung und Verantwortung”, sagt Christoph.
Man merkt ihm an, dass ihm die Arbeit hier viel Freude bereitet. „Wir haben wirklich eine große Gestaltungsfreiheit. Und auch wenn die Arbeit mit den Menschen hier oft fordernd ist, weil wir häufig Konflikte lösen und Kompromisse finden müssen, ist es eine sehr erfüllende Aufgabe. Es steht hier keine wirtschaftliche Effizienz im Vordergrund. Wir sind ein sozialer Ort, der das Miteinander fördert und das Beste für jeden Einzelnen rausholen möchte.”
Wie gerufen kommt da Jan Weigel. Er ist Musiktherapeut und besucht die Forstgruppe an zwei Tagen in der Woche. Es ist ein Angebot für Mitarbeiter und Beschäftigte mit ihm zu musizieren, zu singen oder zu tanzen. Jan lacht: „Naja, es handelt sich hier schon um eine wilde Gruppe. Nicht jeder hat Lust zu musizieren. Aber lautes Trommeln macht ihnen viel Freude und Johannes, der sich sonst wenig beteiligt, kommt etwas aus sich heraus und klatscht und tanzt auch manches Mal mit.” Neben Musiktherapie werden hier auch Eurythmie und Kunsttherapie angeboten. Das gehört zum Konzept des Trägers der LebensWerkgemeinschaft - dem Anthropoi Bundesverband.

Teilhabe und Inklusion anders denken

Der Bundesverband anthroposophisches Sozialwesen (kurz Anthropoi Bundesverband) bildet das Dach von derzeit über 180 Trägerorganisationen mit insgesamt über 260 Einrichtungen. In diesen Einrichtungen lernen, leben und arbeiten über 17.000 Menschen mit kognitiver, psychischer und körperlicher Behinderung. Ein Hauptanliegen des Bundesverbandes ist es, Teilhabe zu schaffen, Inklusion zu fördern und beides auch neu zu denken. Denn, auch wenn Menschen mit Assistenzbedarf über Werkstätten am Arbeitsleben teilnehmen können, Gemeinschaft erfahren und eine Aufgabe finden, so stellt sich doch auch immer wieder die Frage nach einer fairen Entlohnung. „Bisher gibt es für die Mitarbeiter eher ein Taschengeld und es gibt kaum Chancen, Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin auf dem ersten Arbeitsmarkt zu werden”, äußert sich Christoph kritisch und ergänzt: „Teilhabe und Inklusion sind wesentlich für unsere Gesellschaft. Aber es ist an der Zeit, dass sie neu gedacht werden.“ Das sieht übrigens auch die UNO so und fordert, dass die Werkstätten bei Inklusion, Chancengleichheit und Lohn deutlich nachbessern müssen, um den Zielen der Behindertenrechtskonvention zu entsprechen.

So viel mehr als ein Arbeitsort

Inzwischen duftet es nach Mittagessen. Es gibt einen Küchendienst, der das Essen ausgibt und im Anschluss dafür verantwortlich ist, dass die Küche wieder aufgeräumt und sauber gemacht wird. Alle anderen räumen drinnen und draußen auf. Die Geräte müssen gereinigt und ordnungsgemäß weggeräumt, Planen festgezurrt und Türen abgeschlossen werden. Um 15 Uhr wollen sie nämlich pünktlich Feierabend machen.
Bisher sind uns hier tatsächlich nur Männer aller Altersgruppen begegnet. Dann stehen plötzlich zwei junge Frauen vor uns. Sie machen hier ein Praktikum beziehungsweise ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FöJ). Auch ein junger Mann, ebenfalls FöJler, gesellt sich zu uns. Er erzählt, dass er sein Ökologisches Jahr sogar verlängert hat, weil ihn die Arbeit in der Werkstatt und mit den Menschen so begeistert.

Uns wird einmal mehr klar, dass es sich hier um mehr als einen Arbeitsort handelt. Es ist eine Gemeinschaft, die ein soziales Miteinander fördert, die Struktur vorgibt, Verantwortung und Verlässlichkeit bietet. Die Menschen hier haben eine Aufgabe, die sie ernst nehmen und, wie es uns scheint, auch wirklich gerne übernehmen.

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06. März 2023

weiterführende Informationen

Wer mehr über die Forstgruppe wissen möchte, kann sich auf der Website www.lwg.berlin/werkstatt/forstgruppe umsehen.

Mehr zum Anthropoi Bundesverband gibt es unter www.anthropoi.de/bundesverband/. Wer sich für die Arbeit im Bundesverband interessiert, dem sei diese Seite empfohlen: www.anthropoi.de/angebote/stellenanzeigen/