Beitrag von Dr. med. Matthias Girke und Prof. Dr. med. Christof Müller-Busch

Umfragen zur aktiven Sterbehilfe der Meinungsforschungsinstitute TNS Emnid und Forsa in den vergangenen Jahren zeigen, dass zwischen 35 und 74 Prozent der Befragten eine aktive Sterbehilfe befürworten. Dabei ist der Anteil der Befürworter deutlich geringer, wenn eine gute Schmerztherapie, palliativmedizinische Versorgung und psychosoziale Betreuung gewährleistet ist. Für die Menschen steht also bei einer nicht heilbaren und weit fortgeschrittenen Erkrankung nicht die Verlängerung der Überlebenszeit um jeden Preis, sondern die Lebensqualität und das Befinden während der Behandlung im Vordergrund. Allerdings wissen nach einer Befragung von TNS Emnid lediglich drei Prozent der Deutschen, was Palliativmedizin ist.

Die Umfrageergebnisse weisen auf zwei Probleme hin: Zum einen ist das Wissen in der Bevölkerung über die Sterbebegleitung der Palliativmedizin und Hospizbetreuung verhältnismäßig gering. Zum anderen stammen Einschätzungen und Argumente gesunder Menschen zum Lebenswert oder Lebensunwert einer zum Tod führenden Erkrankung immer einer nicht selbstgelebten eigenen Erfahrung, sondern allenfalls dem Erleben einer solchen Phase bei anderen Menschen. So wird häufig das Schreckensszenario eines schmerzgequälten Patienten in der Endphase einer Erkrankung als Motiv für aktive Sterbehilfe angeführt.

Die Erfahrungen in der Palliativbetreuung schwerkranker Menschen zeigen jedoch, dass es trotz starker Einschränkungen und krankheitsbedingten Behinderungen auch Lebensqualität geben kann. Oft wird die Frage nach Freudens- und Glücksmomenten während der Krankheit mit ja beantwortet. Der Wert und Sinn der letzten Lebensphase wird nicht zwangsläufig durch Krankheitssymptome und Behinderungen eingeschränkt, sondern kann durch eine fachkundige Begleitung gefördert werden. Denn der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe entsteht nicht aufgrund unbezwingbarer Symptome, sondern wegen Hoffnungslosigkeit und Sinnverlust. Palliativmedizin und Hospizbetreuung haben ihre Aufgabe nicht nur in der Symptomkontrolle für eine erträglichere, aber doch als aussichts- oder sinnlos empfundene verbleibende Lebenszeit sondern sie sind eine praktische Alternative. Statt aktiver Sterbehilfe bieten Palliativmedizin und Hospizbetreuung eine menschliche und an den Werten des Patienten orientierte Sterbegleitung, die ihn in seiner Erkrankung als Individuum, aber auch als zukünftiges Wesen begreift.

Es ist ein besonderes Anliegen der Anthroposophischen Medizin, deren Schwerpunkt unter anderem in der Behandlung von Menschen mit fortgeschrittenen onkologischen Erkrankungen liegt, integrative Therapiekonzepte anzubieten. Neben dem Einsatz von Arzneimitteln werden künstlerische Therapien, Heileurythmie oder die Gesprächstherapie einbezogen, um diese Lebensphase würdig und sinnbestimmt zu begleiten. Im Rahmen einer Schmerztherapie oder bei der Behandlung einer Angstsymptomatik eines Patienten muss darauf geachtet werden, dass sein zur Selbstbestimmung fähiges Bewusstsein nicht eingeschränkt wird. Bei Unruhezuständen und Ängsten können Arzneimittel der Anthroposophischen Medizin zu einer wertvollen Hilfe werden. Auch das oft als belastend erlebte Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom kann durch anthroposophische Arzneimittel gelindert werden. Die Studienlage zur Misteltherapie verweist auf eine entsprechende Wirksamkeit.

Ein wesentliches Element in der Palliativ- und Hospizbetreuung ist die Anthroposophische Krankenpflege. Äußere Anwendungen können Beschwerden lindern und zu wohltuenden Erfahrungen führen. Auch ist die Förderung eines Tag-Nacht-Rhythmus und eine dem Patienten entsprechende Tagesgliederung ein wichtiger Bestandteil der Behandlung. Diese hebt sich positiv von der durchgehende Sedation ab, den diese führt oftmals zu einem müden und eingeschränkten Bewusstsein während des Tages und einem flachen Schlaf. Neben der Begleitung durch die Krankenpflege hilft auch eine besondere Therapieform der Anthroposophischen Medizin, die Rhythmische Massage. Vieles kann durch dieses Verfahren an Spannungslösung und Besserung der Befindlichkeit erreicht werden.

Die künstlerischen Therapien (Musiktherapie, Maltherapie, Sprachtherapie) können Beschwerden verringern und der Sinnfindung dienen. Der Patient ist dabei kein passiver Therapieempfänger, sondern kann nach seinen Möglichkeiten aktiv in den therapeutischen Prozess einbezogen werden. Die positive Wirkung einer Musiktherapie ist tägliche Erfahrung. Beeindruckend sind immer wieder die von Patienten in dieser Lebensphase gemalten Bilder. Aus der Abstraktheit intellektueller Auseinandersetzung gelöst, können hier wesentliche Fragen in der Auseinandersetzung mit dieser Lebensphase und ihren Perspektiven umgesetzt werden. Bilder von Patienten, die vor ihrem Sterben gemalt worden sind, sprechen eine eindrückliche Sprache, die Wesentliches von dem sterbenden Menschen offenbart. In der gesprächsorientierten Begleitung können Aspekte der eigenen Biographie aufgegriffen werden. Die innere Reife des sich auf den Abschied vorbereitenden Menschen ist ein beeindruckendes Erlebnis, gleichermaßen für den Betreuenden und den Patienten, der die Erfahrung machen kann, auch in dieser Situation für andere Menschen wichtig zu sein.

Die Forderung nach Liberalisierung von bestimmten Formen der aktiven Sterbehilfe ist ein Hilferuf gegenüber dem als unveränderlich angenommene Leiden. Sie ist aber auch eine unzureichende Reaktion darauf, dass die Fragen nach dem Sinn von Kranksein, Leiden, Sterben und Tod nicht enttabuisiert und von einem umfassenden Menschenverständnis getragen werden. Eine gesetzliche Regelung der aktiven Sterbehilfe durch den Arzt ist keine angemessene Antwort im Umgang mit sterbenskranken Menschen. Die Antwort kann nur die Überwindung der bestehenden Inkompetenz durch Professionalisierung in der Begleitung schwerkranker Patienten sein. Dabei muss sich auch die Medizin im Angesicht der Grenzsituation einer menschlichen Biographie in der Sterbephase um ein Menschenverständnis bemühen, das die Transzendenz des menschlichen Wesens einbezieht. Die gegenwärtige Diskussion zur aktiven Sterbehilfe sollte nicht unreflektiert in den Pragmatismus eines Sterbehilfegesetzes abgleiten, sondern zur Enttabuisierung des menschlichen Sterbens und zu einem erweiterten Menschenverständnis führen.