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Diät und Ernährungsumstellung - wie kann das gelingen?

Zum Start in ein neues Jahr werden nicht selten gute Vorsetze gemacht. Sehr beliebt sind dabei das Abnehmen oder der Verzicht auf bestimmte Genussmittel wie Alkohol oder Fleisch. Wie sinnvoll ist eine Diät am Anfang des Jahres? Was umfasst eine gesunde Ernährung? Wie funktioniert eine Ernährungsumstellung und muss sie ärztlich begleitet werden? Dr. med. Markus Wispler ist Internist, Gastroenterologe und Ernährungsmediziner und gibt Antworten im Interview.

Herr Wispler, wie sinnvoll ist es denn, direkt im Januar mit einer Diät zu beginnen?

Dr. Markus Wispler: Es ist immer der richtige Zeitpunkt, um sich mit seiner Ernährung auseinanderzusetzen. Wenn ich das Motiv durch den Vorsatz habe, sollte ich die Kraft durchaus direkt am Jahresanfang nutzen. Allgemein spielt die Jahreszeit aber keine Rolle, wenn ich eine Diät, Fastenkur oder Ernährungsumstellung anstrebe. Der Januar ist also genauso gut wie jeder andere Monat.

Ist eine kurze Diät gut oder braucht es eine allgemeine Umstellung der Ernährung?

Dr. Markus Wispler: Das kommt darauf an, was ich erreichen möchte. Fasten, mit dem Ziel den Stoffwechsel anzukurbeln, findet in der Regel über einen festen, aber kürzeren Zeitraum statt. Wenn ich aber überlege, wie ich meine Ernährung umstellen möchte, dann sind zeitlich begrenzte Maßnahmen nicht effektiv, da es sich meist um einen längeren Prozess handelt. Eine komplette Umstellung braucht Zeit und auch Geduld.

Wie sollte ich eine Diät oder Ernährungsumstellung angehen? Sollte ich Hilfe von Fachpersonal in Anspruch nehmen oder ist das nicht nötig?

Dr. Markus Wispler: Hier gibt es verschiedene Ansätze.
Wenn ich fasten möchte, ist es sinnvoll, dass ich mich dabei professionell begleiten lasse. Dabei muss es nicht zwingend eine Ärztin oder ein Arzt sein - auch erfahrene Therapeut:innen sind gute Begleiter. Wichtig ist, gemeinsam zu erarbeiten, wie eine Fastenkur abläuft, was zu meiner Gesundheit passt und was nicht.
Auch Diäten, die medizinisch indiziert sind, sollten begleitet werden. Ein klassisches Beispiel wäre eine Glutenunverträglichkeit. Hier braucht es Profis, die helfen, einen Ernährungsplan so zu erstellen, dass ich ohne Gluten gut leben kann.
Ohne medizinische Hilfe kann eine allgemeine Anpassung der Ernährungsgewohnheiten umgesetzt werden. Dazu braucht es vor allem die eigene Bereitschaft. Es ist wichtig, sich mit der eigenen Ernährung auseinanderzusetzen und den Speiseplan umzustellen. Diese Umstellung bedeutet aber nicht, dass die Freude am Essen vergehen sollte. Es gibt meist kein prinzipielles Verbot für ein bestimmtes Nahrungsmittel. Das bewusste Genießen, der Respekt vor Lebensmitteln und die daraus resultierende Auseinandersetzung mit den Produkten spielen eine wichtige Rolle. Die Freude an hochwertigen Lebensmitteln und leckeren Gerichten sollte im Fokus stehen.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Fasten und Diät?

Dr. Markus Wispler: Populärwissenschaftlich ist der Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel mit dem Ziel, das Körpergewicht zu reduzieren, vermutlich das häufigste Verständnis vom Begriff „Diät“. Ursprünglich kommt der Begriff aus dem Altgriechischen diaita und steht für Lebensführung/ Lebensweise. Im Englischen („diet“) wird er als Synonym verwendet für Ernährung oder auch Ernährungskonzept. Unter Diät ist also sowohl eine spezifische Ernährungsform in Abhängigkeit von bestimmten medizinischen Diagnosen zu verstehen, als auch die langfristige Umstellungen der Ernährungsgewohnheiten, die ein gesundes Leben ermöglichen sollen. Also bedeutet eine „diet“ eher eine dauerhafte Ernährungsumstellung.
Ein Beispiel hierfür ist die „Nordic Diet“. Sie orientiert sich an der Mittelmeerkost, setzt aber auf regional typische Lebensmittel. Es werden hier typisch mediterrane Lebensmittel durch im Norden heimische ersetzt. Zum Beispiel wird Vitaminzufuhr dann nicht durch Zitrusfrüchte, sondern durch heimische Beeren garantiert.
Beim Fasten handelt es sich um eine meist freiwillig gewählte und zeitlich begrenzte Form der Ernährung. Im Normalfall liegt die Nahrungsaufnahme dabei bei unter 500 kcal am Tag. Dabei steht nicht die Reduzierung des Körpergewichts im Vordergrund - es geht vielmehr darum, den Stoffwechsel umzustellen und den Körper zu entlasten.

Wenn ich eine Diät oder Fastenkur mache, wie bemerke ich mögliche Mangelerscheinungen?

Dr. Markus Wispler: Das betrifft in erster Linie das Fasten, deswegen ist es sinnvoll, sich professionell begleiten zu lassen. Setzt die Veränderung des Stoffwechsels ein, kommt es vor allem am Anfang zu verstärkter Müdigkeit, Schwäche und Konzentrationsschwäche. Der Grund ist die erhebliche Reduzierung der Glucoseeinnahme. Nach drei bis vier Tagen ist der Stoffwechsel umgestellt, dann fühlt man sich fitter und leistungsfähiger. Zwei Grundregeln sollten immer beachtet werden: genug trinken und „erlaubte“ Nahrungsmittel zu sich nehmen. Eine Nulldiät ist gefährlich. Mineralstoffe, Elektrolyte und Flüssigkeit etc. müssen immer ausreichend zugeführt werden.

Sollte man während der Fastenkur regelmäßig sein Blut untersuchen lassen?

Dr. Markus Wispler: Nein, bei professioneller Begleitung und Auswahl eines etablierten Fastenkonzeptes ist eine derartige Überprüfung nicht notwendig.

Welche Nahrungsprodukte sollten grundsätzlich gemieden werden?

Dr. Markus Wispler: Schlecht ist die Aufnahme von Frittiertem, Softdrinks, kurzkettigen Kohlenhydraten, also Zucker, sowie Nahrungsmitteln, die eine hohe Prozessierung hinter sich haben. Nachhaltige Produkte sind qualitativ besser. Zum Beispiel bleibt beim verarbeiteten Weißmehl Typ 405 fast nur die Stärke übrig. Wertvolle Mineralien und Ballaststoffe finden wir dagegen im weniger verarbeiteten Vollkornmehl. Hier nehmen wir langkettige Kohlenhydrate auf. Diese regen die Darmtätigkeit an, außerdem bleiben wir aufgrund der vielen Ballaststoffe länger satt, es kommt selten zu Heißhunger.

Wie versorge ich mich ausreichend vitaminreich im Winter? Das meiste Obst wird sehr aufwändig zu uns transportiert und ist somit kaum im Sinne der Nachhaltigkeit.

Dr. Markus Wispler: Hier sollte jeder für sich festlegen, welche Transportwege er oder sie in Kauf nimmt. Am besten sind natürlich kleine Distanzen, denn so gestaltet sich die Ernährung fast automatisch regional und saisonal. Heimisches Obst, beispielsweise der Apfel, kann eingelagert werden und unser Wintergemüse hat ausreichend Vitamine.
Ich könnte zudem für mich selber festlegen, dass ich Zitrusfrüchte nur sechs bis acht Wochen im Jahr konsumiere.

Können sich alle Menschen weltweit regional und dabei gesund ernähren?

Dr. Markus Wispler: Nein, vermutlich noch nicht – wenn auch ein zentraler Lösungsansatz der globalen Ernährungs- und auch Hungerfrage in lokalen Konzepten liegt. Ein sorgsamerer Umgang mit Lebensmitteln würde dazu beitragen. Ein riesiger Anteil geht in die Industrie oder Futterverarbeitung und es werden viel zu viele Lebensmittel entsorgt. Das liegt daran, dass wir es gewohnt sind, dass zu jeder Zeit alles verfügbar ist. Das führt dazu, dass die Supermärkte das, was nicht gekauft wurde, wegschmeißen müssen.
Das Argument, wir hätten zu wenig Optionen, die Weltbevölkerung ausreichend und gesund zu ernähren, stimmt nicht. Es ist eine Frage der Umverteilung.

Haben Sie einen Wunsch, wie wir mit dem Thema gesunde Ernährung umgehen sollten?

Dr. Markus Wispler: Ernährung muss heute als globales Thema gesehen werden. Planetare Gesundheit ist an die menschliche Gesundheit gekoppelt. „Planet Health Diet“ ist eine hochkarätig wissenschaftlich evaluierte Ernährungsempfehlung: Was wir essen, entscheidet, wie sich die Welt entwickelt. Das bedeutet, dass wir möglichst regionale und saisonale Lebensmittel konsumieren sollten. Damit vermeiden wir große Anteile an Verarbeitung, Verpackung und Transport. Auch die Reduzierung von tierischem Eiweiß ist gut für Mensch und Planet. Es geht nicht darum, dass jeder sofort zum Vegetarier wird, aber eine Lebensweise, die sich in Richtung einer vegetarischen oder gar veganen Ernährung bewegt, ist schon etwas, an dem wir uns alle orientieren können. Dann schaffen wir eine gesunde Ernährung für die Welt und den Einzelnen.

Können Sie gesunde Ernährung aus Sicht der Anthroposophischen Medizin erläutern?

Dr. Markus Wispler: Die Ernährung wird in der Anthroposophischen Medizin ganzheitlicher betrachtet. Ernährung ist hier nicht nur “Essen”, also der biologische Austausch von Substanzen, sondern ein qualitatives “sich ernähren”. Ein achtsamer Umgang mit den Nahrungsmitteln gehört dabei ebenso dazu wie der Respekt vor der Natur. Ernährung ist mehr als nur Stoffwechsel. Ernährung heißt ja auch, sich mit Sinneseindrücken zu nähren. Damit hat Ernährung eine soziale Komponente: man verbringt Zeit miteinander und erlebt kulturellen Austausch. So umfasst eine gesunde Ernährung nicht nur den Körper, sondern auch das Denken und das Fühlen des Menschen. Der Ernährungsbegriff erweitert sich so um eine zusätzliche qualitative Dimension.

Vielen Dank für das Gespräch!