Apothkeke Kundin kauft Arzneimittel

Ärztegesellschaften kritisieren KBV-Chef Andreas Gassen

Offener Brief zur Integrativen Medizin an Andreas Gassen übergeben

Die Hufelandgesellschaft (Dachverband der Ärztegesellschaften für Naturheilkunde, komplementärer und integrativer Medizin) hat heute Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), auf der Vertreterversammlung der KBV in Berlin einen offenen Brief übergeben. Darin kritisieren die Ärztegesellschaften die wiederholten Angriffe von Herrn Gassen gegen die Homöopathie. Der offene Brief wurde auch von der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) unterzeichnet, die als ärztliche Fachgesellschaft Mitglied in der Hufelandgesellschaft ist.

Berlin, 13. September 2019. „Als hausärztliche Internistin mit verpflichtender Mitgliedschaft in der KV erwarte ich von Herrn Gassen, dass er auch mich und meine komplementärmedizinisch-integrativ tätigen Kolleginnen und Kollegen vertritt“, sagt Dr. med. Sabine Fischer, Vorstandsmitglied der Hufelandgesellschaft. „Wir stehen für über 60.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, die Herr Gassen mit vertritt. Mit seinen Angriffen auf die Homöopathie diskreditiert er einen nicht unerheblichen Teil dieser Ärzteschaft, ohne ein Mandat dafür bekommen zu haben“, so Fischer weiter, „als Vorstandsmitglied der Hufelandgesellschaft erwarte ich von allen Vertretern der Selbstverwaltung, dass sie zu einem Dialog mit uns bereit sind. Wir müssen zu einer gemeinsamen Kommunikation im Sinne der Patienten finden.“

„Wir wollen Vielfalt in der Medizin. Wir brauchen eine Medizin, die das Beste aus unterschiedlichen Therapiemethoden miteinander verbindet“, sagt auch Dr. med. Michaela Geiger, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte. „Wie sollen wir sonst Problemen wie chronischen Erkrankungen, zunehmenden Antibiotikaresistenzen oder der wachsenden Übermedikation gerecht werden? Am Ende des Tages sollten die Patienten entscheiden, was für sie von nachhaltigem Nutzen ist.“

Die Ärztegesellschaften kritisieren auch, dass Gassens Aussagen nicht mit dem Leitbild der KBV vereinbar sind. Dort heißt es: „Für die Patienten streben wir deren größtmögliche Zufriedenheit durch die konsequente Ausrichtung unserer Arbeit auf die Bedürfnisse der Patienten und durch mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung an.“ Der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger zum Thema ist klar: Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage (Kantar 2018) äußerten 75 Prozent der Deutschen, dass sie sich eine Integrative Medizin wünschen, 60 Prozent sind gegen ein Verbot der Erstattung homöopathischer Arzneimittel.

Andreas Gassen argumentiert immer wieder mit entstehenden Kosten, obwohl er weiß, dass diese für homöopathische Arzneimittel im GKV-System verschwindend gering sind. Sie beliefen sich 2017 auf 10,5 Mio. Euro. Das sind 0,03 Prozent der gesamten Ausgaben für Arzneimittel, die die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler mit ihren Pflichtbeiträgen finanzieren. Diese Arzneimittel haben ein großes Potential sowohl bei der Behandlung chronischer Erkrankungen als auch bei akuten Erkrankungen unterschiedlicher Schweregrade.  

Mit dem offenen Brief wollen die Hufelandgesellschaft sowie die angeschlossenen ärztlichen Fachgesellschaften den langen überfälligen Dialog anstoßen: „Wir brauchen einen konstruktiver Austausch und freuen uns auf den fachlich-ärztlichen Dialog“, so Sabine Fischer abschließend.

 

Offener Brief an Andreas Gassen // Vorstandsvorsitzender der KBV

Berlin, 13. September 2019


Sehr geehrter Herr Kollege Vorstandsvorsitzender Gassen,
sehr geehrter Vorstand der KBV,

mit Befremden nehmen wir Ihren erneuten Vorstoß zur Kenntnis, die Erstattung der Homöopathie im Rahmen der Satzungsleistungen der GKV verbieten lassen zu wollen.

Wir hatten bereits mehrfach um einen Gesprächstermin gebeten, um die Chance für einen kollegialen Austausch zu erhalten, so wie es in der ärztlichen Selbstverwaltung in der Vergangenheit gelebt wurde. In einer Organisation, die es gewohnt ist, unterschiedliche Interessen und Standpunkte auszubalancieren und sie einander anzunähern, sollte dies die Normalität darstellen.

In Ihrer Rolle als gewählter Vorstandsvorsitzender der KBV, also aller kassenärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen ist es Ihre Aufgabe, alle Kassen-Ärztinnen und -Ärzte zu vertreten.

Wir sind befremdet darüber, dass Sie aus dieser Rolle heraus unsachliche Positionen zur Homöopathie vertreten und sich damit über die Grundsätze Zehntausender von Ihnen vertretener Ärzte hinwegsetzen.

Solche Aussagen sind zudem mit dem Leitbild der KBV nicht vereinbar. Im Leitbild steht „Für die Patienten streben wir deren größtmögliche Zufriedenheit durch die konsequente Ausrichtung unserer Arbeit auf die Bedürfnisse der Patienten und durch mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung an. Um diese Ziele zu erreichen, werden wir auf der Grundlage eines für Vertragsärzte und -psychotherapeuten transparenten Informations- und Entscheidungsprozesses alle Verbesserungsmöglichkeiten ausschöpfen, damit unsere Dienstleistungen positiv bewertet werden.“

Im Rahmen einer Umfrage (1) äußerten 75% der Deutschen, dass sie sich eine Integrative Medizin wünschen. 60 % sind gegen ein Verbot der Erstattung homöopathischer Arzneimittel und 64% finden es wichtig bzw. sehr wichtig, dass ihr Hausarzt auch Präparate aus der Komplementärmedizin einsetzen kann.

Ihre Aussage „Homöopathische Mittel stehen deswegen auch nicht im gesetzlichen Leistungskatalog“ (2) ist im Übrigen auch rechtlich falsch. Oder gehört § 12 Abs. 6 AM-RL nicht zum Leistungskatalog der GKV?

§ 12 Abs. 6 AM-RL (3) ist Ausdruck des aus gutem Grund und seinerzeit vom Parlament bewusst in das SGB V aufgenommenen Gebotes, der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen (§ 34 Abs. 1 S. 3 SGB V). Es leuchtet nicht ein, warum homöopathische Arzneimittel, die unter bestimmten näheren Voraussetzungen bei schwerwiegenden Erkrankungen oder im Falle der Verschreibungspflicht GKV-verordnungsfähig sind, nicht auch erweiternd als Satzungsleistung von den Krankenkassen erstattet werden dürfen sollen.

Es gibt im Übrigen auch eine Reihe vom BfArM, im Rahmen des Zulassungsverfahrens wirksamkeitsgeprüfter homöopathischer Arzneimittel! (4) Bezweifeln Sie neuerdings die fachliche Qualifikation der deutschen Zulassungsbehörde zur Wirksamkeitsbeurteilung von Arzneimitteln? Das deutsche Arzneimittelgesetz kennt zwar für die Zulassung homöopathischer Arzneimittel ein abgestuftes System der Wirksamkeitsprüfung, keinesfalls wird aber bei der Zulassung homöopathischer Arzneimittel gänzlich auf eine Wirksamkeitsprüfung verzichtet. Ihre Aussage zum fehlenden Wirksamkeitsbeleg homöopathischer Arzneimittel steht damit auch im Widerspruch zur Zulassungspraxis des BfArM.

Sie argumentieren in Ihren Äußerungen immer wieder mit den Kosten, wohlwissend, dass diese im System zu vernachlässigen sind. Die Kosten zu Lasten der GKV verordneter Homöopathika beliefen sich 2017 auf 10,5 Mio. €. Das sind 0,03 % der gesamten Ausgaben für Arzneimittel, die die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler mit ihren Pflichtbeiträgen finanzieren. Diese Arzneimittel haben ein großes Potential sowohl bei der Behandlung chronischer Erkrankungen als auch bei akuten Erkrankungen unterschiedlicher Schweregrade.

Über 60.000 Ärztinnen und Ärzte vertreten die oben genannten Grundsätze des Leitbildes der KBV im Rahmen der Integrativen Medizin. Es handelt sich um approbierte Ärztinnen und Ärzte mit solider klassischer Ausbildung, mit Zusatzbezeichnungen und langjährigen Weiterbildungen, Ärztinnen und Ärzte, die auch als Kassenärzte in der Regelversorgung den Sicherstellungsauftrag bedienen.

Wie immer bei medizinischen Themen sollte eine Diskussion innerhalb der Ärzteschaft auf Augenhöhe stattfinden. Wir freuen uns auf einen zeitnahen Terminvorschlag für ein gemeinsames zukunftsweisendes Gespräch.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Thomas Breitkreuz, Vorstand der Hufelandgesellschaft
Dr. med. Michaela Geiger, Vorstandsvorsitzende des DZVhÄ
Dr. Matthias Girke, Vorstand des DAMiD
Dr. med. Gabriela Stammer, Vorstand der GAÄD

Quellen
1) Repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar TNS zum Thema Homöopathie und komplementäre Medizin im Auftrag der DHU (2018)
2) NOZ 07.09.2019 - https://www.presseportal.de/pm/58964/4368633
3) Wortlaut des § 12 Abs. 6 AM-RL: „Für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete kann die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist. 2) Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt hat zur Begründung der Verordnung die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen.“
4) Siehe https://www.bfarm.de