Interview mit Prof. Harald Matthes, Leiter der Impfstudie ImpfSurv und Ärztlicher Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe
Herr Prof. Matthes, Sie führen zurzeit eine Studie zu möglichen Corona-Impfnebenwirkungen durch: ImpfSurv. Was wollen Sie damit herausfinden?
Harald Matthes: Als Arzt hat mich einfach interessiert, welche Wirksamkeit und welche Nebenwirkungsprofile die neuen Corona-Impfstoffe im Vergleich zeigen. Wir wollen uns mit dieser Studie, die ja noch läuft, anschauen, wie Wirksamkeit, Infektionsschutz (also die Unterbrechung der Ansteckung), Impfreaktionen und -nebenwirkungen der neuen Impfstoffe ausfallen.
Was kann die Studie, was kann sie nicht?
Harald Matthes: Unsere Studie ist eine Beobachtungsstudie. Damit hat sie – wie alle anderen Beobachtungsstudien auch – bestimmte Grenzen. Zum Beispiel können wir immer nur mit dem arbeiten, was die befragten Personen angeben. Auch muss sich jede Beobachtungsstudie die Frage nach ihrer repräsentativen Aussagekraft stellen lassen. In unserer Studie kann man zum Beispiel klar sagen, dass sie für die über 70-Jährigen sicher nicht repräsentativ ist, da diese Altersgruppe kaum über Online-Befragungen erreicht werden kann.
Was sagen die bisherigen Ergebnisse?
Harald Matthes: Aus der Studie ergeben sich Hinweise, dass die Impfnebenwirkungen wohl etwas höher sind, als wir bisher vermutet haben – das legt ja auch der internationale Vergleich nahe. Was die Symptome angeht, wurden uns recht typische Symptome geschildert: am häufigsten neurologische Probleme, dann Herz-Kreislauf-Erkrankungen und schließlich muskulär-skelettale Symptome – das entspricht in etwa dem, was wir auch in den internationalen Zulassungsstudien für die Impfstoffe gesehen haben. Im Durchschnitt treten mehr als drei Symptome gleichzeitig auf, die in ihrer Konstellation recht typisch sind.
Warum haben Sie jetzt schon Ergebnisse vorgestellt, während die Studie noch läuft?
Harald Matthes: Das war nicht unbedingt geplant. Ich wurde von einem Fernsehsender auf unsere Studie, bei der es auch um die Erfassung von Nebenwirkungen geht, angesprochen, weil die Redaktion durch eine erste Sendung zu Impfnebenwirkungen auffallend viele Zuschriften von verzweifelten Zuschauer:innen bekommen hatte, die mit ihren Symptomen sonst kein Gehör gefunden haben. In diesem Sender habe ich dann über mögliche Nebenwirkungen gesprochen und auch gesagt, dass es sich bei unserer Studie um erste und vorläufige Hinweise handelt.
Was sagen Sie zur Kritik an der Methodik der Studie – dass sie nicht repräsentativ sei und dass Sie Nebenwirkungen anders als sonst üblich definieren?
Harald Matthes: Einer methodischen Kritik müssen wir uns stellen. Aber um es klar zu machen: Wir haben uns natürlich an den gängigen Definitionskriterien orientiert. Und dass Beobachtungsstudien in ihrer repräsentativen Aussagekraft per se oft begrenzt sind, habe ich schon erwähnt. Trotzdem sind Beobachtungsstudien in der Medizin unverzichtbar, weil sich damit wichtige Hinweise finden lassen, die dann in weiteren Studien vertieft werden sollten. Wenn es nach mir ginge, hätten wir sowieso längst ein Impfregister aufgesetzt, in dem alle Impfungen und mögliche Reaktionen oder Nebenwirkungen in der gesamten Bevölkerung anonymisiert eingetragen werden. In anderen Ländern gibt es solche Register und die damit erhobenen Daten sind extrem hilfreich. Leider hat sich Deutschland anders entschieden.
Warum ist es so schwer, sachlich über Impfnebenwirkungen zu sprechen?
Harald Matthes: Die ganze Frage des Impfens wird eben nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich und politisch diskutiert. Das bringt viele Emotionen rein, die nicht immer hilfreich sind – man wird schnell als Impfgegner abgestempelt. Trotzdem gibt es eine gesellschaftliche Relevanz, über das Thema zu sprechen, denn es gibt viele Menschen, die stark durch Impfnebenwirkungen betroffen sind und denen momentan noch nicht gut geholfen wird. Als Arzt interessiert mich die Frage der medizinischen Versorgung natürlich am meisten.
Was muss unser Gesundheitswesen für die Betroffenen tun?
Harald Matthes: Menschen, die Impfkomplikationen erleben, müssen wir helfen. Das ist erstmal das Wichtigste. Da es sich aber bei den beschriebenen Symptomen um neu auftretende Autoimmunreaktionen handelt, müssen wir spezialisierte Ambulanzen – zum Beispiel wie die Long-Covid-Ambulanzen – oder sonstige Strukturen schaffen, in denen die Patient:innen interdisziplinär behandelt werden, weil die Symptome oft fachübergreifend auftreten. Dort müssen auch wirksame Therapieoptionen erforscht werden, wie wir diese Autoimmunreaktion stoppen können. Wir können die betroffenen Menschen nicht länger alleine lassen!
Was empfehlen Sie den Betroffenen ganz konkret?
Harald Matthes: Leider sind es so viele Anfragen, dass wir zurzeit gar nicht einzeln antworten können. Aber wir empfehlen allen, zuerst einmal eine medizinische Abklärung in spezialisierten Sprechstunden, wie z.B. den Long-Covid-Ambulanzen, vornehmen zu lassen. Eine Übersicht über solche Ambulanzen finden Sie » hier. Bei entsprechender Symptomatik können diese Autoantikörper auch in Speziallabors bestimmt werden. Dann wissen die Betroffenen schon mal mehr und können gezielter nachfragen. Aber eines ist ganz klar: Wir haben noch lange nicht das medizinische Angebot, das wir für die Behandlung der Störungen und Symptome brauchen. Da müssen wir neue Netzwerke schaffen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Harald Matthes ist Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, Ärztlicher Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe und Inhaber einer Stiftungsprofessur an der Charité Universitätsmedizin Berlin