Vorbereitung Plenarsaal // Deutscher Bundestag

Selbst so gesellschaftlich relevante Themen wie die Suizidbeihilfe oder die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels haben es in diesen Tagen schwer, in der Gesundheitspolitik durchzudringen – zu dominant ist nach wie vor die Debatte darum, wie es mit der Pandemie weitergeht. Inzwischen liegen immerhin abgestufte Pläne zur Lockerung des Lockdowns vor. Kurz vorher hatten vor allem die KinderärztInnen nochmal wegen der sich abzeichnenden Spätfolgen bei Kindern und Jugendlichen Alarm geschlagen. Nun zu den anderen Themen: Die Debatte zur Sterbehilfe geht weiter. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im letzten Jahr liegen nun neue Vorschläge vor. Außerdem wollen wir kurz über eine neue Studie zum Klimawandel berichten, die deutlich auf die gesundheitspolitische Dimension des Themas verweist. Es ist höchste Zeit, dass diese Problematik endlich stärker in Bezug auf Medizin und Gesundheit diskutiert wird.

Die Meldungen:

» Corona: Kinder & Jugendliche in Not?
» Neue Vorschläge für die Suizidbeihilfe
» Gegen Hass und Ausgrenzung
» Mehr Klimaschutz = weniger Todesfälle
» Nachruf Bernard Lown


Corona: Kinder & Jugendliche in Not?

Kinder und Corona pexelsBerlin, 9. März 2021. Die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich in Deutschland im Verlauf der Corona-Pandemie weiter verschlechtert. Fast jedes dritte Kind leidet ein knappes Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten. Sorgen und Ängste haben noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden sind verstärkt zu beobachten.

Gesundheitsverhalten deutlich verschlechtert

Auch das Gesundheitsverhalten der Kinder und Jugendlichen hat sich noch weiter verschlechtert. Sie ernähren sich weiterhin ungesund mit vielen Süßigkeiten und zehnmal mehr Kinder als vor der Pandemie und doppelt so viele wie bei der ersten Befragung machen überhaupt keinen Sport mehr. Parallel dazu verbringen die Kinder noch mehr Zeit als im Frühsommer 2020 an Handy, Tablet und Spielekonsole, wobei sie die digitalen Medien jetzt häufiger auch für die Schule nutzen. Erneut sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund betroffen.

Das sind die alarmierenden Ergebnisse der zweiten Befragung der sogenannten COPSY-Studie (Corona und Psyche) vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Sie ist bundesweit die erste und international eine der wenigen Längsschnittstudien ihrer Art.

Seelische Belastungen stärker berücksichtigen

„Unsere Ergebnisse zeigen erneut: Wer vor der Pandemie gut dastand, Strukturen erlernt hat und sich in seiner Familie wohl und gut aufgehoben fühlt, wird auch gut durch die Pandemie kommen. Wir brauchen aber verlässlichere Konzepte, um insbesondere Kinder aus Risikofamilien zu unterstützen und ihre seelische Gesundheit zu stärken. […] Sonst besteht die Gefahr, dass vor allem Kinder aus Risikofamilien ihre Motivation und Lernfreude verlieren. Aber auch insgesamt müssen wir die seelischen Belastungen und Bedürfnisse von Familien und Kindern während der Pandemie und während eines Lockdowns stärker berücksichtigen“, sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer als Leiterin der COPSY-Studie.

Quelle:
„COPSY-Studie: Kinder und Jugendliche leiden weiterhin stark unter Corona-Pandemie“, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, 10. Februar 2021

 

Neue Vorschläge für die Suizidbeihilfe

Sterbehilfe PixabayBerlin, 9. März 2021. Nach einem Jahr kommt in die Debatte um die Suizidbeihilfe erneut Bewegung: Inzwischen liegen zwei neue Vorschlage für Gesetzesentwürfe vor, um die Suizidbeihilfe neu zu regeln. Der eine Entwurf kommt von einer interfraktionellen Gruppe von Parlamentariern, der andere von den Grünen. Aus dem Bundesgesundheitsministerium kam außerdem die Ankündigung eines eigenen, „hausinternen“ Entwurfs zur Sterbehilfe, der aber vorerst noch nicht vorgelegt werden soll. Bisher hatte das BMG immer erklärt, eine Initiative aus der Mitte des Parlaments abwarten zu wollen. Es ist offen, ob es bei dieser Ankündigung bleibt.

Anlass für die neuen Entwürfe war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar vergangenen Jahres, das den Paragrafen 217 Strafgesetzbuch, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, für verfassungswidrig erklärte. Die Karlsruher RichterInnen hatten in ihrem Urteil das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben betont und erklärt, dass damit auch die Freiheit gemeint sei, Hilfe beim Suizid in Anspruch zu nehmen zu können.

Zentrale Rolle für ÄrztInnen

In beiden Entwürfen wird ÄrztInnen eine zentrale Rolle zugewiesen, ohne jedoch den einzelnen Arzt zur Teilnahme an der Sterbehilfe verpflichten zu wollen. Der fraktionsübergreifende Vorschlag sieht als Voraussetzung für eine Beihilfe zum Suizid eine verpflichtende Beratung und Wartefristen vor. Zentraler Punkt soll auch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes sein, so dass eine ärztliche Verschreibung von Natrium-Pentobarbital möglich wäre – unter Voraussetzung von Beratung und Bedenkzeit.

Der Vorschlag der Grünen versteht sich eher als „Schutzkonzept“, in dem differenziert werde, ob die Betroffenen Suizid wegen Krankheit oder aus anderen Gründen begehen wollen. Im ersteren Fall soll ÄrztInnen eine entscheidende Rolle zukommen, indem sie den Sterbewunsch prüfen und gleichzeitig auf alle medizinischen Möglichkeiten hinweisen sollen, die den Leidensdruck lindern können. Die Hürden zur Suizidbeihilfe sind im Grünen-Entwurf höher, auch durch eine verpflichtende ärztliche Zweitmeinung.

Ärzteschaft muss / wird diskutieren

Es wird deutlich, dass sich die Ärzteschaft mit den Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes auseinandersetzen muss: Beim Ärztetag in Rostock im Mai 2021 steht das Thema erneut auf der Tagesordnung. Gleichzeitig hat die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) eine umfassende Stärkung der Suizidprävention angemahnt: „Suizidprävention muss Normalität werden, Suizidassistenz hingegen die absolute Ausnahme“, so der Verband.

Quelle:
„Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe vorgelegt“, Deutsches Ärzteblatt, 29. Januar 2021

 

Gegen Hass und Ausgrenzung

Jugend Corona PexelBerlin, 9. März 2021. Im Superwahljahr 2021 haben über 400 Organisationen eine Erklärung für Menschlichkeit und Vielfalt unterzeichnet. Mit der gemeinsamen Erklärung zeigen die Verbände, Initiativen und Einrichtungen aus dem Bereich der Behindertenhilfe und der Sozialen Psychiatrie gemeinsam klare Haltung gegen Rassismus und Rechtsextremismus und warnen vor Hetze und Stimmungsmache. Mit Sorge beobachten die Verbände, wie versucht wird, eine Stimmung zu erzeugen, die Hass und Gewalt nicht nur gegen Menschen mit Behinderung, psychischer oder physischer Krankheit schürt, sondern gegen alle, die sich für eine offene und vielfältige Gesellschaft engagieren.

„Wir treten ein für Menschlichkeit und Vielfalt. Und wir sind nicht alleine: Wir stehen für Millionen Menschen in Deutschland, die das Auftreten und die Ziele von Parteien wie der Alternative für Deutschland und anderer rechter Bewegungen entschieden ablehnen“, heißt es in der Erklärung.

Die Mitzeichnenden (unter anderem Sozialverband VdK Deutschland, Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland, Fachverbände für Menschen mit Behinderung, Paritätischer Gesamtverband) zeigen sich entschlossen, Hass und Hetze entgegenzutreten: „Wir lassen nicht zu, dass in Deutschland eine Stimmung erzeugt wird, die unsere Gesellschaft spaltet“, heißt es in der Erklärung. An der Initiative ist auch Anthropoi Bundesverband, ein Mitglied im Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD), beteiligt.

Quelle:
„Erklärung für Menschlichkeit und Vielfalt“, Februar 2021

 

Mehr Klimaschutz = weniger Todesfälle

pexels alexas fotosBerlin, 9. März 2021. Es wird höchste Zeit, das Thema „Klimawandel“ auch stärker in Bezug auf Medizin und Gesundheit zu verstehen. Eine neue Studie, die kürzlich im Lancet veröffentlicht wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass sich eine Reduktion der CO2-Emissionen verbundene Verbesserung der Luftqualität und der Ernährung sowie eine zunehmende körperliche Aktivität der Bevölkerung auch die Sterblichkeit deutlich sinken lassen würde.

Nach den veröffentlichten Berechnungen könnten in 9 Ländern (darunter Deutschland) im Jahr 2040 jedes Jahr 1,18 Millionen Todesfälle durch saubere Luft, 5,86 Millionen Todesfälle durch gesündere Nahrungsmittel und 1,15 Millionen Todesfälle durch mehr Bewegung vermieden werden. Die Berücksichtigung weiterer Gesundheitsziele könnte den Nutzen noch weiter steigern. Für Deutschland hieße das konkret, dass bis 2040 jährlich 15.614 weniger Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung, 143.710 weniger an den Folgen einer ungesunden Ernährung und 5.631 Menschen weniger an den Folgen des Bewegungsmangels sterben.

Die Länder, die in die Berechnungen eingeflossen sind, hatten sich auf der UN-Klimakonferenz in Paris (unverbindlich) zu national festgelegten Beiträgen verpflichtet – auch auf eine Senkung der CO2-Emissionen, was grundlegende Reformen in Landwirtschaft, Industrie, Energieerzeugung, Wohnungsbau, Verkehr etc. als „Health in all climate policies“ erforderlich machen würde.

Quelle:
„Studie: Pariser Klimaziele könnten jährlich Millionen vorzeitiger Todesfälle verhindern“, Deutsches Ärzteblatt, 10. Februar 2021

 

Nachruf Bernard Lown

Lown IPPNW webBerlin, 9. März 2021. Wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag ist der Kardiologe Bernard Lown gestorben. Der Mitbegründer des IPPNW stritt bis zuletzt für eine nicht industrialisierte Medizin. Bekannt wurde Lown auch durch die Einteilung der Herzrhythmusstörungen und durch die Erfindung des Defibrillators, den Lown mit entwickelt hat und der heute Standard in der Notfallversorgung ist.

Aber das ist nur die eine Seite seines Wirkens: 1985 hat Bernard Lown zusammen mit dem russischen Kollegen Jewgenij Chasow den Friedensnobelpreis erhalten – als Anerkennung seiner politischen Leistung: Lown hatte Jahre zuvor die IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung) gegründet. Nicht nur das Thema der atomaren Aufrüstung war ihm ein Herzensanliegen: 1997 gründete er in Boston das „Ad Hoc Committee to Defend Healthcare“ gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Dann kam später noch „SatelLife“ hinzu, ein Online-Netzwerk zur Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten in Afrika.

Gleichzeitig hat Lown der Medizin (und der Politik) auch in seinen Büchern immer wieder den Spiegel vorgehalten: Sein Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“ wurde vielfach übersetzt und weltweit diskutiert. Vielen Ärztinnen und Ärzten hilft es bis heute, „nicht an den politischen und ökonomischen Zerstörungsattacken gegen die Humanmedizin zu verzweifeln, sondern für eine menschliche, nicht-industrialisierte Medizin zu kämpfen“, wie die Ärzte Zeitung in ihrem Nachruf (online am 23. Februar 2021) schreibt.

Bernard Lown wird fehlen – nicht nur in der Medizin.

Quelle:
„Bernard Lown – Streiter für eine menschliche Medizin“, Ärzte Zeitung, 23. Februar 2021